Unter einem Qanat - in Marokko Khettara, Foggara oder auch Rhetara genannt – versteht man stark vereinfacht eine unterirdische Wasserleitung. Auch in größerer Entfernung der oft niederschlagsreichen Bergregionen benötigten Menschen Wasser für sich und zur Bewässerung ihrer Oasen und Gärten. Entscheidend war, das Wasser sauber in die Dörfer zu führen, außerdem musste es vor teilweise extrem hoher Verdunstung geschützt werden. Das gelang unterirdisch am besten.
Moqannis, spezialisiert auf den Bau unterirdischer Wasserstollen, kümmerten sich um die Konstruktion. Meist waren es dann Sklaven, die in mühevoller Handarbeit Stollen gruben. Ausgerüstet waren sie dabei mit einfachstem Material: Hacke, kurzer Spaten, Seil und Ledereimer. Zuerst wurde ein Stollen zum sogenannten Mutterbrunnen – meist am Fuße eines Gebirgszuges- gegraben, um eine wasserführende Schicht zu erreichen. Von dort aus hob man in regelmäßigen Abständen vertikale Schächte aus, bis das Zielgebiet erreicht war.
Zum Schluss entstand der horizontale, also wasserführende Stollen. Der Aushub wurde kegelförmig rund um die Schächte verteilt. Durch diese an überdimensionale Maulwurfshügel erinnernden Kegel kann der Verlauf einer Khettara auch heute noch mühelos aus der Luft verfolgt werden. Details zum Bau werden im Artikel von Wikipedia: Qanate - Khettaras ausführlicher und genauer erklärt, als das hier geschehen kann.
Nach unseren Beobachtungen leitete man aber auch Wasser direkt aus Wadis / Flussläufen um, damit fruchtbarer Boden bewässert werden konnte. Hier hatte man den Vorteil, nicht so tiefe und lange Stollen graben zu müssen, um den gleichen Effekt zu erzielen.
Wie so oft in Marokko: Keiner weiß genau, wie alt die Bauwerke hier sind. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass die ersten gefundenen Khettaras in Marokko aus dem 12. – 14. Jahrhundert stammen, viele jedoch erst vor ca. 300 Jahren entstanden. Einige funktionieren sogar heute noch wie z.B. die in Tiznit. Hier wird das Wasser der "blauen Quelle" über einen unterirdischen Kanal, eine Khettara zu den alten, außerhalb der Stadtmauer liegenden Gärten geleitet.
Die meisten jedoch liegen mittlerweile trocken, da beginnend in den 1970er Jahren das Absinken des Grundwasserspiegels durch die Ausbeutung mit Motorpumpen zum Austrocknen des Mutterbrunnens geführt hat. Um zumindest die Überbleibsel solcher baulichen Meisterleistung zu sehen, muss man nicht bis Südostmarokko fahren. Nicht nur in der Haouz-Ebene rund um Marrakech, östlich von Taroudant um Oulad Berhil, in der Oase Tighmart bei Guelmim und bei Amtoudi sind Khettaras zu entdecken. In der beginnenden Ebene am Hang des Atlas-Gebirges östlich von Ouarzazate werden sie immer zahlreicher und größer. Die 2020 noch sichtbaren Reste der Khettaras um Skoura (Bild oben) verdeutlichen, wie die Gärten und Palmenhaine von weit her mit Wasser versorgt wurden. Die Khettarras bei Tinghir sind bereits mannshoch und laden zum Spaziergang ein.
Wir waren schon ziemlich beeindruckt und überwältigt, als wir in der Nähe von Amtoudi / Aït Herbil vor den riesigen zu Trichtern erodierten Wartungsschächten "unserer" ersten Khettara standen. Ca. 4 oder 6 m unter uns konnten wir in der Tiefe den Grund des Stollens erahnen. Zwischen einer mit Palmen bewachsenen Stelle fanden wir einen Einstieg und konnten einige Meter in gebückter Haltung in dem mittlerweile trockenen Stollen entlang gehen.
Schnell stellten wir fest: eigentlich war er noch in Funktion, unter dem alten Boden gluckerte in einer Betonröhre Wasser, ab und zu wurden Schächte eingesetzt, in denen wir das klare, kalte Wasser mit kleinen Fischen darin laufen sahen. Etwas wartungsfreundlicher ist diese modernere Art der Wasserführung sicher. Was muss es früher für ein harter Job gewesen sein, die oft kilometerlangen Leitungen in gebückter Haltung zu pflegen, da man sich nur in den Wartungsschächten aufrichten konnte.
Durch das heutige Bohren von Brunnen hat sich die Wasserversorgung in den Oasen sehr verändert, so dass viele Khettaras ihre Bedeutung -auch als kollektiv gepflegtes und genutztes Gut- verloren haben. Oft werden sie zugeschüttet, überbaut oder teilweise als Müllablage missbraucht. Ein Jammer um diese erhaltenswürdigen unterirdischen Monumental-Bauwerke!